Eindrücke von der Enthüllung des Bandes für die Familie Cramer

Erstellt am 20. Januar 2020

Am 17. Januar wurde vor dem Haus Prinzregentenstraße 9 das Erinnerungsband für die Familie Cramer enthüllt. Wir dokumentieren hier die Begrüßung durch Dr. Benigna Schönhagen.

Tom Cramer mit Frau und Töchtern sowie Claire Jebsen

Guten Tag! Schön, dass Sie da sind.
Wir sind hier zusammen gekommen, um ein neues Erinnerungs-zeichen zu enthüllen. Das Erinnerungsband soll die Erinnerung an drei Augsburgerinnen und Augsburger wach halten, die zu Opfern nationalsozialistischer Gewalt wurden. Es sind Martin, Clara und Erwin Cramer, die Eltern und der Bruder von Ernst Cramer, den die Stadt 2003 zum Ehrenbürger erklärte.
Im Namen der Augsburger ErinnerungsWerkstatt begrüße ich Sie sehr herzlich zu dieser kleinen Gedenkveranstaltung und danke Ihnen für Ihr Kommen.
Besonders begrüße ich die Angehörigen der Familie. Es sind die Enkel von Klara und Martin Cramer. Claire Jebsen ist aus Norwegen angereist und Tom Cramer ist mit seiner Ehefrau Michele Burger und den beiden Töchtern aus New York gekommen. Sie werden beide im Anschluss berichten, was sie über ihre Großeltern und ihren Onkel wissen. Liebe Frau Jebsen, liebe Familie Cramer, schön, dass Sie hier sind!
Danken möchte ich schon jetzt auch Natalie Hünig, die einige Gedichte von Martin Cramer lesen wird, sowie Dr. Felix Bellaire von der städtischen Fachstelle Erinnerungskultur. Er hat die Koordination von Tiefbauamt und Metallbauer übernommen und wird auch dafür sorgen, dass aus dem provisorischen Pfosten ein dauerhafter wird.
Hier, im 3. Stock dieses großzügigen Wohnhauses aus der Gründerzeit lebte das Ehepaar Cramer mit seinen drei Kindern seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts.
Martin Cramer (1880-1942) war als Kaufmann aus der Pfalz nach Augsburg gekommen.
Clara Berberich, die 1886 in Augsburg geboren wurde, heiratete ihn 1911. Sie stammte aus einer angesehenen Augsburger Familie. Ihr ein Jahre jüngerer Bruder Hugo war ein beliebter Kinderarzt. Seine Praxis lag am Mittleren Graben.
Die Kinder Ernst, Helene und Erwin wurden zwischen 1913 und 1921 geboren.
Familie Cramer verkörperte das, was man unter „assimilierten Juden“ versteht. Sie fühlten sich als gute Deutsche. Sie waren stolz auf die Stadt, in deren Mitte sie lebten. Sie liebten ihre Geschichte und Kunst, besonders begeisterten sie sich für die Musik und die Literatur. Davon werden wir noch hören. Helene besuchte das Maria-Theresia-Gymnasium, Ernst und Erwin das Real-Gymnasium, das heutige Peutinger. Sie hatten also alle keinen weiten Schulweg.
Nicht weit entfernt von der Wohnung lag auch die Synagoge. Aber auch das Theater, die Stadtbibliothek und die Konzertsäle lagen um die Ecke. Sie bedeuteten Martin und Clara Cramer lange Zeit viel mehr als die Synagoge, die sie in der Regel nur an den Hohen Feiertagen besuchten –klassische „Dreitage-Juden“, wie man damals sagte.
Das änderte sich 1933, als mit der NSDAP eine Partei die Macht erhielt, die von Judenhass getrieben war und Antisemitismus zur Staatsdoktrin erhob. Je mehr der NS-Staat Juden aus dem öffentlichen Leben ausschloss, desto mehr Bedeutung erhielt die Synagoge für die Cramers wie für die anderen Augsburger Juden. Sie wurde zum Rückzugsort, zum Schutzraum und (neuem) geistigen Zentrum.
Die jüdische Gemeinde versuchte Ersatz für das kulturelle und sportliche Leben, an dem Juden nicht mehr teilnehmen durften, zu bieten. Der Literaturliebhaber Martin Cramer, dem zu allen Familienfeiern die Verse leicht aus der Feder flossen, half dabei aktiv mit. Als der Mieterschutz 1939 für Juden aufgehoben wurde, übernahm er das schwierige Wohnungsamt der Gemeinde. Das heißt, er musste Ersatz für die aus ihren Wohnungen Vertriebenen suchen.
Davor schon engagierte er sich mit Beiträgen im Mitteilungsblatt der Gemeinde. Darüber wurde er zu einem Chronisten der Ereignisse, die anders nicht dokumentiert sind. Und das nicht nur in Prosa, sondern auch in Versen.
Es gibt ein nachdenkliches Gedicht von ihm über das erste Synagogenkonzert 1933. Als 1936 die jüdischen Sportvereine in Bayern – in anderen durften Juden nicht mehr spielen – ihren Landeswettbewerb in Augsburg austrugen, hat Martin Cramer die jungen Augsburger Juden in einer Mischung aus Wehmut und Stolz bedichtet. Sie werden auch dies das Gedicht nachher hören.
Es ist eine berührende Momentaufnahme aus der Zeit, als immer mehr Jüdinnen und Juden einsehen mussten, dass sie ihre Heimat verlassen mussten, um sich zu retten.
Ernst Cramer und seiner Schwester Helene ist die Emigration in die USA 1938 und 1939 gelungen. Erwin, Martin und Clara Cramer gelang sie nicht mehr. In der Karwoche 1942 wurden sie aus ihrer Wohnung geholt und nach Piaski bei Lublin, ins im sog. Generalgouvernement deportiert. Von dort kamen eine Zeitlang noch einzelne Briefe und Karten. Sie waren adressiert an Hedwig Epstein, die Großmutter von Ernst Cramers Frau Marianne Untermayer. Dann verliert sich die Spur der Deportierten. Ob sie in dem katastrophal überfüllten Transitlager starben oder noch in die Todesfabrik nach Belzec weiterdeportiert wurden, ist unbekannt. Martin, Klara du Erwin Cramer gelten als verschollen. So haben wir es auch auf das Erinnerungsband geschrieben.
Aber Martin, Klara und Erwin Cramer sind nicht vergessen. Das Erinnerungsband soll das Gedenken aufrechterhalten. Es erinnert an drei Menschen, die zu Augsburg gehörten. Ihr Lebensfaden wurde brutal durchschnitten, nur weil sie Juden waren.

Bevor nun Claire Jebsen und Tom Cramer von ihren Großeltern und ihrem Onkel berichten, wird Frau Hünig zwei Gedichte von Martin Cramer vortragen und am Schluss das dritte. Das erste Gedicht hat Martin Cramer zum 50. Geburtstag seiner Frau geschrieben, über die wie sonst nicht viel wissen. Das andere Gedicht entstand zum Sportfest 1936. Es ist Urschi Lammfromm, einer der jungen Siegerinnen gewidmet.
Noch einmal vielen Dank für Ihr Kommen!
Dr. Benigna Schönhagen, für die ErinnerungsWerkstatt Augsburg

Hinweis: Im Allitera Verlag ist ein Buch über Ernst Cramer erschienen: Lars-Broder Keil und Sven Felix Kellerhoff: "Ich gehöre hier hin" - Remigration und Reeducation: Der Publizist Ernst Cramer. 204 S., Paperback, 19,90 Euro, ISBN 978-3-96233-210-5